Zur Ausstellung : Kathrina Rudolph, Arbeiten mit Papier / Malerei, im Rathausfoyer Stadtbergen, April 2017

Dr. Gertrud Roth- Bojadzhiev
April 2017
Dr. Gertrud Roth-Bojadzhiev zur Eröffnung der Ausstellung
am 10. 3. 2017
 
In unserer Sprache gibt es die schöne und bezeichnende Redensart: „sich ein Bild machen von...“ Reporter z.B. machen sich dann ein Bild der Lage vor Ort und senden es über alle Medienkanäle in die Welt hinaus. Die Redensart meint damit aber eigentlich nicht so sehr das Pressefoto oder Fernsehbild, sondern einen äußerst wichtigen und uns allen geläufigen, dem Menschen zugehörigen Vorgang: dass wir aus dem ununterbrochenen Fluss von Bildern und Informationen, die uns unsere verschiedenen Sinne liefern, aber vorwiegend unsere visuelle Wahrnehmung, einen Überblick herausdestillieren und dann eine eigene Meinung, einen Standpunkt, eine Entscheidung, eine Erkenntnis gewinnen wollen.
Neben diesem Fluss von Wahrnehmungsbildern, die wir ununterbrochen gleichzeitig auch auswerten, uns eben ein Bild machen von der Umgebungswelt, tragen wir alle aber auch noch stabile Gedächtnisbilder im Kopf, die unabhängig von der aktuellen Lebenslage uns vielleicht ein Leben lang begleiten.
Und dann gibt es natürlich noch die nächtlichen Traumbilder, oft flüchtig und unverständlich, aber auch da sind wir Wesen, die Bilder machen, mit Bildern leben, sich ein Bild machen.
Wahrnehmungs-, Gedächtnis- und Traumbilder gehören zu unser aller selbstverständlichen, bedeutsamen und meist völlig unbewusst bleibenden Alltagsgebaren.
 
Es gibt aber eine Spezies Mensch, die das in uns allen angelegte Potential für Bilder leidenschaftlicher, ausschließlicher, unbedingter, reichhaltiger, ungewöhnlicher und auf sehr spezifische Weise aktiver nützt. Solche Menschen drängt ihre spezifische Begabung noch ganz andere Bilder zu machen, also das Wahrgenommene, das im Gedächtnis Verankerte, das Geträumte noch weiter zu betreiben, zu verarbeiten, es in Gestalt und Materialität zu bringen. Und dann entsteht etwas, was der gleichermaßen bild- wie sprachbegabte Horst Janssen als die göttliche Überflüssigkeit der Kunst benannte, die, wie vermutlich jeder künstlerisch Tätige erfährt, ausgespannt ist zwischen Himmel und Unterwelten. Dekorative Banalitäten haben da keinen Platz.
 
Dieser unbedingte Wille zum Bild ist in den Arbeiten von Kathrina Rudolph in doppelter Hinsicht vorhanden. Nicht nur, dass sie sich, in Einlösung der eigenen bildnerischen Begabung, in Bildern äußert, sie greift auch in drei Werkgruppen auf Zeitungsbilder zurück, oft Titelfotos. Und dann beginnt in langwierigen Arbeitsgängen und unter Verwendung bester Materialien das, was eben nur Künstler können:  Aneignung, Verwandlung, symbolische und energetische Aufladung.
Dabei wird der jeweilige Arbeitsprozess mit z. B. farblichen Abwandlungen nicht nur an einem Bild, sondern in einer ganzen Serie durchgespielt.

Werkgruppe 1: großformatige farbige Arbeiten auf der Basis von Zeitungsfotos: Veränderung Vergrößerung, Aufsplitterung, Farbvarianten, Bildkombination.
Ausgangspunkt ist ein Standfoto aus dem Film von Lars v. Trier „Nymphomaniac“ von 2013. Es geht um eine Frau, die sexsüchtig ist, aber ihr Körper- und Trieberleben nicht in Einklang bringen kann mit ihrem emotionalen Erleben und ihrem Bindungsbedürfnis. Und nun tranformiert K.R. in einem langwierigen handwerklichen Prozess das ursprüngliche Foto, das ja nur eine Momentaufnahme ist, so, dass etwas von diesem inneren konfliktiösen Geschehen zutage tritt. Das Foto gibt die Gesamtgestalt vor - den Blick auf eine Frau von unten, Blickpunkt Kehle. Und von da aus geschieht die Transformation. Die gesamte Figur, immer noch lesbar, wird vorrangig zu einem vibrierenden Kraftfeld von züngelnden farbigen Formen und deren Zwischenräumen, in gleicher Richtung oder gegenläufig geordnet. Die kleineren, spitzigeren rötlichen Farbformen umgeben die andersfarbigen Formen von Gesicht, Hals und Schulter wie ein energetischer Fluss. Für die vorgegebene Frauenfigur des Fotos wird durch dieses Verfahren der Aufsplitterung und Netzbildung der Ausdruck für die Widersprüchlichkeit der inneren Situation, hinzugewonnen.
Das zweite Bild daneben, in einer Farbvariation, zeigt im Vergleich virtuos die Wirkungsmächtigkeit von Farben.
Der gleiche handwerkliche Prozess wird genützt im nächsten Werk, wo zwei höchst unterschiedliche Lebenswelten und Situationen auf einer großen Papierbahn gebündelt werden.  Bei aller Unterschiedlichkeit der Situation - CP Viktoria und trauernde Frauen, die vor einer Botschaft warten -  sie thematisieren eine existentielle menschliche Erfahrung, das Erleben von Gefühlen der Bindung, der gemeinsamen Trauer.
Wiederum übersetzt in sehr komplexe Form- und Farbgefüge, die gerade noch das Ausgangsbild erkennen lassen. Gerade beim unteren aber, werden die Einzelfrauen in ein großes Gefüge übermächtiger Formen gleichzeitig zergliedert und eingepasst, als zwänge sie eine Schicksalsmacht zusammen.
(Der menschliche Körper als Ort des Leidens und der Befreiung, der physischen und erotischen Anfechtung, der Verletzlichkeit, im Foto oft genug reißerisch präsentiert, ist kein intaktes Gefüge, ist in sich selbst und in seiner Umgebung ein Kräftefeld)
 
Werkgruppe 2: Rückgriff auf eine historische Art und Weise der Bildwürdigung, ja der Heiligkeit von Bildern „Ikonen“ (Orthodoxie) durch die Einfassung mit strukturierter Zinnfolie. Allerdings verlassen diese Ikonen die sakrale Thematik und den sakralen Raum. Wiederum auf der Basis von Zeitungsbildern und ersten skizzenhaften Collagen damit, geschieht einerseits eine klare Verweltlichung z. B. wird Lauren Bacall zitiert, einer der platinblonden synthetischen Hollywoodstars, andererseits entsteht surreale Verrätselung, denn die Schöne wird in der geprägten Zinnfolie konfrontiert mit Tieren: Schmetterling und Haifisch. Durch die Schichtung von zwei Bildebenen öffnet sich die bloße Information des ursprünglichen Zeitungsbildes zu einem freien, deutenden, vermutenden Assoziationsfluss.
 
Werkgruppe 3: Popups kommen als Technik aus dem Bilderbuch und aus biedermeierlichen Papiertheatern. Bei Kathrina Rudolphs Arbeiten geschieht damit die hintergründige Verarbeitung eines Finnlandaufenthaltes. Finnische Zeitschriften lieferten das Material für ein privates Erlebnistheaterchen, in dem das Spiel mit touristischen Klischees und die Verarbeitung des Erlebten zu Kulissen für ein unsichtbares Geschehen ineinander geschachtelt werden. Ob Elch, Wassernixe, Tango oder die Formgebung für Fluchtbedürfnisse aus der ländlichen Enge, das geschnittene Papier deutet an und gibt nichts preis.
 
Werkgruppe 4: wäre noch einzugehen auf ein weiteres Ergebnis des Finnlandaufenthaltes. Im Gebäude für den „artist in residence“ fanden sich große Tapetenrollen mit vorgegebenen grafischen Mustern, die im weitesten Sinnen baum- oder blattaderartiges an sich haben.  Kathrina Rudolph reagierte darauf mit einer wunderschönen leuchtenden Farbigkeit, (Schellacktusche), und füllt die Verästelungen der vorgegebenen Struktur mehr oder weniger fragmentarisch. Die Farben bergen in sich alle Nuancen von Pflanzenwelt, Wasser, Himmelsweite, und im Verbund mit der Struktur der Papierbahn eröffnet sich die die ganze Reichhaltigkeit, Fragilität und Schönheit von dem, was wir Natur nennen.
 
Was sich so bescheiden hinter dem Ausstellungstitel „Arbeiten auf Papier/ Malerei“ verbirgt, ist, wie man hier unschwer erkennen kann, eine tiefgründige, nahezu philosophische Auseinandersetzung mit dem Bilderfluss, den die Welt uns liefert. Wir nehmen Bilder halt so hin. Das Hirn vergisst sie wieder und die Zeitungsbilder werden am andern Tag entsorgt und von anderen ersetzt, bei uns, aber nicht bei ihr. Sie potenziert das gegebene Bildmaterial in vielen Arbeitsgängen zu starken oder spielerischen oder zauberhaften Gegenwelten. Die Bilder sind aus dem Fluss, aus ihrer schnellen Vergänglichkeit herausgehoben, sie stehen still. Derart herausgehoben wird sichtbar, dass dem Vordergründigen Hintergründiges beigegeben wurde und das ist das, was eigentlich nur künstlerische Arbeit leisten kann